»EINE DICHTUNG IST WIE EIN GEMÄLDE: es gibt solche, die dich, wenn du näher stehst, mehr fesseln, und solche, wenn du weiter entfernt stehst; dieses liebt das Dunkel, dies will bei Lichte beschaut sein;… dies hat einmal gefallen, doch dieses wird, noch zehnmal betrachtet, gefallen.«
Diese Sätze sind zweitausend Jahre alt. Aufgeschrieben hat sie der römische Dichter Horaz in einem Brief an die Söhne eines römischen Stadtpräfekten; Sätze aus einer poetischen Epistel, die für viele Jahrhunderte das Zentrum der Reflexion über Dichtung bildeten.
Ut pictura poiesis – Eine Dichtung ist wie ein Gemälde, Dichtung ist wie Malerei: Diese fast magische Formel für das poetische Nachdenken über Kunst beschäftigt auch noch die Schriftsteller des 21. Jahrhunderts.
Das Bild als stumme Dichtung – dieser Aspekt ist Ausgangspunkt einer Lesungs- und Ausstellungsreihe des Kunstvereins Schieder-Schwalenberg. Wie reagiert ein bildender Künstler auf einen literarischen Text? Wie verbindet ein sowohl literarisch als auch bildnerisch arbeitender Künstler ‹poème image›? Es gibt viele Künstlerpaare – Schriftsteller und bildendeKünstler, wie z. B. Thomas Kling und Ute Langanky mit ihrem Projekt ‹Spleen›, Marcel Beyer und Jacqueline Merz, Oswald Egger und Katharina Hinsberg, oder auch beides in einer Person wie bei Barbara Köhler und Karin Irshaid.
Dr. Brigitte Labs-Ehlert, 2019
die Reihe pictura & poesia wurde von 2019−2021 gefördert von
17.7.−5.9.2021
pictura & poesia No. 4
GRAPHIT / DÄMONENRÄUMDIENST
JACQUELINE MERZ . Arbeiten mit Graphit
MARCEL BEYER . Texte
Die 1962 im schweizerischen Niederbipp geborene Künstlerin Jacqueline Merz studierte an der Zürcher Hochschule für Gestaltung und Kunst. Seit 1991 lebt und arbeitet sie in Dresden. »Ausgangspunkt der grossformatigen Graphitzeichnungen ist ihre Malerei, die aus der Untersuchung barocker Stilleben hervorgegangen ist. Die Graphitschwaden auf ihren Blättern sind Assoziationsfelder, die zwischen Körper und Landschaft schwingen. Das Helldunkel verweist auf jenes Licht, welches die Bilder auf Fotografien erst in Erscheinung treten lässt.« (Susanne Greinke)
In ihrem 2019 beim Leipziger Bibliophilen-Abend erschienenen Künstlerbuch FARN »führen beide einen paradiesischen Dialog miteinander. Sie, die Schweizerin in Dresden, spielt wie eine virtuose Pianistin auf den weissen und schwarzen Tasten des Klaviers und findet in den Zwischentönen des Grau eine Melodie. Es ist ihre Melodie, aber zugleich wird sie zum Klang der Verse Marcel Beyers, des Schwaben in Dresden. Bei ihm kommen sie aus der Bewegung des Dichters in der Sprache. Das lyrische Ich hört, wie sich Kerne im Fruchtfleisch drehen, empfängt Innen-, Binnen- und Wimmergeräusche. Ein Zyklus aus neunzehn Gedichten, der sich mit den fein ziselierten Siebdrucken seiner Lebenspartnerin Jacqueline Merz verbindet zu einem Gesang von der Welt.« (Michael Hametner)
Marcel Beyer, geboren 1965 in Tailfingen / Württemberg, lebte bis 1996 in Köln, seitdem in Dresden. Er schreibt Gedichte (Falsches Futter, 1997, Dämonenräumdienst, 2020), Romane (Flughunde, 1995, Kaltenburg, 2008), Essays (Putins Briefkasten, 2012, Das blindgeweinte Jahrhundert, 2017) sowie Libretti für Enno Poppe, Manos Tsangaris und Toshio Hosokawa. 2016 wurde er für sein Werk mit dem Georg Büchner-Preis ausgezeichnet. Im Juni des Jahres wurde er mit dem Friedrich-Hölderlin-Preis 2021 der Stadt Bad Homburg für sein schriftstellerisches Gesamtwerk geehrt.
Zur Ausstellung erschien in Kooperation mit dem KRAUTin Verlag, Berlin ein Katalog, der u.a. in der Galerie HAUS BACHRACH erhältlich ist // ISBN 978-3-96703-030-3
27.9.−9.11.2020
pictura & poesia No. 3
AUGENBLICKE – VON LEBEN UND STERBEN
JENS REULECKE . Fotografische Bilder
DR. MARLIES REULECKE . Geschichten
Die Texte von Marlies Reulecke erzählen uns von Menschen, die todkrank dem Sterben entgegengehen. Menschen, denen sie in der ambulanten Palliativversorgung täglich begegnet. Doch findet sich an dieser Schwelle des Übergangs eine Lebendigkeit, die den statischen Blick auf das Lebensende verändert. – Die Titel der Geschichten unterstreichen das deutlich, so lauten sie: bunt, einig, hilflos, kämpfend, lächelnd, solidarisch, strahlend, tränenreich, überrascht, überwältigt, verbunden.
Blick in die Ausstellung pictura & poesia 3 // Jens und Marlies Reulecke: Augenblicke . von Leben und Sterben / Fotos © Jens Reulecke
Diese unerwartete Vitalität inmitten begrenzender Lebensumstände, spiegeln die Fotografien »im Inneren einer Stille« von Jens Reulecke auf ihre Weise. Ihnen geht es um Erinnerungen, Vergangenes, das eine Wiederbelebung erfährt. Ein Neubeginn wird imaginiert, der Unendlichkeit erzeugt. Ähnlich dem gemeinsamen Ausstellungsprojekt »berührt« steht der verwundbare Mensch im Mittelpunkt, der, obwohl ihm alles genommen scheint, selbst zum Ort einer Lebensquelle wird, die Nähe, Vertrauen, Gnade, inneren Frieden, Trost und Freude schenkt. – Kostbarkeiten, die das Leben selber hervorbringt. – Und so dreht sich »Augenblicke« auch eher um das Leben, – seine Schwere und Schönheit. Die Ausstellung endete am 9. November mit einer Performance von und mit Jens Reulecke.
Die 2-teilige Installation »abwesend-da«,
welche die Ausstellung im Fenster und im Kabinett begleitete, bezog sich auf das jüdische Leben im Haus Bachrach.
Die Performance »nächtlich schwanken« wird begleitet von Texten der Schriftstellerin Jenny Aloni, die 1917 in Paderborn geboren wurde und 1939 nach Palästina auswanderte, wo sie 1993 starb. Ihre Eltern und ihre Schwester, die in Deutschland zurückblieben, wurden deportiert und ermordet.
Alonis Texte, die als Teil der Performance eingespielt werden, beschreiben detailliert die Zerstörung des Warenhauses ihrer Familie während des Novemberpogroms und schaffen so eine Nähe zu jenen Ereignissen, die der Familie Bachrach zur selben Zeit wiederfuhren.
Die Performance wurde von Meike Lothmann und Heike Kreienmeier aufgezeichnet und war bis Ende November 2020 in unserem KUNSTfenster zu sehen.
Jens Reulecke reagiert unmittelbar per Bewegung und Klang auf die Worte, die er so weiterträgt und in Schwebe hält, bis der Moment an Bedeutung gewinnt und sich Tiefe öffnet. Die Aktion beginnt in der Galerie HAUS BACHRACH, führt von dort aus zur ehemaligen Synagoge und endet schließlich mit der Niederlegung weißer Rosen vor der Galerie HAUS BACHRACH.
2020_picturapoesia3_posterZur Ausstellung erschien in Kooperation mit dem KRAUTin Verlag, Berlin ein Katalog über den 13-teiligen Zyklus Augenblicke – von Leben und Sterben, der u.a. in der Galerie HAUS BACHRACH erhältlich ist // ISBN 978-3-96703-018-1
Marlies Reulecke 1961 in Berlin geboren, Fachärztin für Chirurgie und Palliativmedizin, Master of Science in Internationaler Gesundheit. Tätigkeit als Ärztin an verschiedenen Orten in Großbritannien und Deutschland, von 1992 bis 2000 im Niger. 2007– 2018 Referentin für Public Health am Missionsärztlichen Institut Würzburg mit Reisetätigkeit in verschiedenen Ländern Afrikas. Seit 2018 Palliativärztin in Berlin. 2014 entstehen erste Geschichten.
Publikationen: »Lebensrealitäten in den Blick nehmen« – Mutter-Kind-Gesundheit in Afrika als Herausforderung für die Kirche / Herder . Korrespondenz Heft 4, 2014. »berührt« Katalog zur Wanderausstellung / Missionsärztliches Institut Würzburg, Juni 2017.»Lebensfreude, Fürsorge, Würde – Standhalten in widrigen Umständen« / Benediktinische Zeitschrift »Erbe und Auftrag« – Monastische Welt Heft 3, 2020.
Jens Reulecke 1960 in Berlin geboren, 1980 bis 1986 Hochschule der Künste Berlin: Studiengang Bildende Kunst (Malerei), 1985 Meisterschüler bei Prof. Hirsig. Aufenthalte in Wigan, London und Schottland von 1988 bis 1990. Aufenthalt im Niger von 1992 bis 2000. Zahlreiche Ausstellungen und Projekte u. a. in Deutschland, Schweden, New York, Paris, London, Liverpool, Glasgow, China, Istanbul, Südkorea, Afrika und der Schweiz. Seit 2009 Lehrtätigkeit / Projekt-Partizipation an verschiedenen Universitäten / Hochschulen in Deutschland, China, USA.
Aktuelle Arbeitsbereiche: Performance, Installation und Fotografie.
1.12.2019−5.1.2020
pictura & poesia No. 2
3 AUGENMERKE
UTE LANGANKY . Foto / THOMAS KLING . Text
Die Künstlerin Ute Langanky und der Dichter Thomas Kling haben in ungewöhnlicher Weise als Lebens- und Kunstgemeinschaft zusammengewirkt. Entstanden sind zahlreiche gemeinsame Buch- und Mappenprojekte, Text- und Fotoserien, die in diesem schwierigen Terrain, visuelle und verbale Seite zusammenzubringen, Erstaunliches leisten. Text und Bild durchdringen, ergänzen und kommentieren sich. Immer galt es, das Nebeneinander von Wort und Bild im illustrativen bzw erleuternden Sinn zu vermeiden. Jedes Medium beansprucht seinen notwendig selbstständigen Wirkraum.
Daraus entwickelt sich die Bild- bzw. Textfolge. Zum 200. Geburtstag von Annette von Droste-Hülshoff im Jahr 1997 entstand die Arbeit »Spleen. Drostedialog«, eine 14teilige Abfolge von Schwarzweiss- und Farbfotografien, die als Präparate drostescher Verfaßtheit zu sehen sind, so wie das Langgedicht von Thomas Kling auf verschiedene prototypische Gemütsverfasssungen der Dichterin eingeht.
2019_picturapoesia2_poster‹Ist mit Ute Langanky nicht eine Reporterin machtvoller Stille am Werk? Der es in der Anordnung als fortlaufendes Band gelingt, die Zeitlichkeit des Objekts in der Konstruktion für einen Moment zum Reden zu bringen? Der es gelingt, das punktuell Zeitliche in bewegten Abläufen zu konstruieren? Dies – die Bildwoge – ist der Leitgedanke von Langankys Fotografie›
(aus einer Einführungsrede von Thomas Kling
zur Fotografie von Ute Langanky, gehalten 1999).
Zu der Ausstellung erschien eine kleine Publikation, erhältlich in der Galerie HAUS BACHRACH.
Ute Langanky (* 1957) studierte an der Kunstakademie Düsseldorf bei Gerhard Richter und Alfonso Hüppi und parallel Philosophie an der Universität Düsseldorf. Seit 1984 freie künstlerische Arbeit und Ausstellungstätigkeit im In- und Ausland, zuletzt (Auswahl) Blick auf Beowulf, Düsseldorf 2019; Flüchtige Entwürfe, Berlin 2019; Concrete, Leverkusen 2017; Thomas Kling. Double exposure, Köln 2017; Sehfahrer, Bremerhaven 2016; Seefarer, Köln 2014; Zur Leitcodierung, Bonn 2013; auf den Grund, Stiftung Schloß Benrath 2011. Ihre Arbeiten sind in verschiedenen öffentlichen Sammlungen vertreten. Seit 2006 Einrichtung und Betreuung des Thomas Kling Archivs / Stiftung Insel Hombroich sowie seit 2008 Einladende für Gastaufenthalte und Projekte des Field Institut Hombroich / SIH. Seit 2012 Lehrtätigkeit an der Universität Koblenz (Malerei/Fotografie).
Zahlreiche Veröffentlichungen, einige davon zusammen mit Thomas Kling (Auswahl): wände machn, Aquarelle 1994; wolkenstein . mobilisierung, Linoldrucke, 1997; Catull. Das Haar der Berenice, Malerei u. Fotografie, 1997; gelände . camouflage, Fotosequenzen, 1998; Anamnese, Malerei, Fotografie u. Texte, 2001; Nachtwache, Fotografie u. Text, 2002; ZINNEN, Linocut-Paintings, 2002; Reproduktionen, Photo:originale, 2002; THE SEAFARER, Fotografie auf Bütten, 2004; THE SEEFARER, 12 Fotografien, 2014.
Ute Langanky lebt und arbeitet auf der Raketenstation / Stiftung Insel Hombroich.
Thomas Kling (1957 – 2005) ist eine Ausnahmeerscheinung unter den deutschsprachigen Dichtern seiner Generation, ein Meister der sprachlichen Inszenierung. Klings Gedichtbände – vor allem ‹erprobung herzstärkender mittel›, ‹geschmacksverstärker›, brennstabm›, ‹nacht.sicht.gerät›, ‹Fernhandel› und ‹Sondagen› – waren wegweisend für seine Zeitgenossen, ebenso wie seine Auftritte. Thomas Klings ‹Sprachinstallationen› markierten eine neue dichterische Position, die explizit die Präsentation im Vortrag einschloß.
(aus: Kunststiftung NRW)
Christian Reiner ist Sprecher von Gedichten, Prosa und experimentellen Texten. Solo und in unterschiedlichen Formationen arbeitet er an Hörstücken, Theaterprojekten, Lesungen, Konzerten und CD-Einspielungen. Seine Arbeiten sind meist im Zwischenbereich von Sprache und Musik zu finden. Mit seinen Rezitationen sah man ihn u. a. am Burgtheater Wien, in der Neuen Bühne Villach, in Graz und in Bregenz. Christian Reiner lebt in Wien.
10.8.−22.9.2019
pictura & poesia No. 1
karin irshaid reise nach jerusalem
ZEICHNUNGEN . DRUCKE . OBJEKTE
Karin Irshaid ist Malerin, Zeichnerin und Objektemacherin. Zugleich ist sie Autorin, der es in beiden Bereichen um den Ausdruck von Sprache geht. Während sie in ihren Texten eine bildhafte Sprache spricht, geht bei der Malerei und den Objekten die Sprache über das Bildhafte hinaus, in den Bereich, der mit direkter Sprache nicht mehr erfassbar ist.
Karin Irshaid las zur Eröffnung am 10.08.2019 aus ihrem 16. Buch »Reise nach Jerusalem«